AUKTIONSHAUS KAUPP Auction 95 Jewellery & Watches, Decorative Art, Antiques & Paintings

Bücher 415 Johann Andreas Silbermann aus der berühmten Silbermann-Dynastie von Orgelbauern lebte in Straßburg. Er war ein Sohn des aus Sachsen eingewanderten Orgelbauers Andreas Silber- mann (1678 – 1734). In den fünf Bänden des «Archivs» sammelte er unerschöpfliches Material zum Bau von 35 Orgeln seines Vaters aus der Zeit von 1699 bis zu dessen Tod, zu 31 eigenen Inst- rumenten (1746 – 1780) sowie zu fast 250 Orgeln des 17. und 18. Jahrhunderts inner- und außerhalb des Elsass’, die nicht von der berühmten Silber- mann-Familie stammen. Das durchgängig in Privatbesitz befindliche, sehr sauber geschriebene Werk ist unterteilt in die Bände «Elsassische Orgeln», «Auswaertige Orgeln», «Von Orgelmachern», «Orgeln von A. Silbermann» und «Einrichtung der Orgeln». Silbermann bereichert seine Beschreibungen der Orgeln und des Orgelbaus durch Skizzen, Pläne sowie detaillierte Listen der Register der Orgeln und fügt zahlreiche Briefe von Orgelbauern und Organisten sowie biographische Notizen zu 182 Orgelbauern der Zeit bei, die imOriginal in die Bände mit eingebunden sind. Während der übrige Nachlass Silbermanns, den die Erben 1784 der Stadt Straßburg überlassen hatten, im Jahr 1870 durch den Brand der Stadt- bibliothek zerstört wurde, sind die Bände und Blätter des «Silbermann-Archivs» in Privatbesitz erhalten geblieben. Ihre Provenienz ist bis heute lückenlos dokumentiert. Da sie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris bzw. Versailles befanden, wird das Kompendium heute als «Pariser Silbermann-Archiv» bezeichnet. Dass sich ein so solches Werk über mehr als 200  Jahre bzw. sechs Generationen in Privat- besitz befindet, ist in der Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts selten. Die meisten Künstlernachlässe wurden eher vernachlässigt, bestenfalls gingen sie in den Besitz von Archiven über, wurden häufig im Zuge zweier Weltkriege zerstört oder verstreut. Der jetzige Einlieferer ist der erste Besitzer, der nicht aus der Familie stammt. Obwohl durchgängig in Privatbesitz, war das «Silber- mann-Archiv» für die Wissenschaft immer zugänglich. So hatte der berühmte Pariser Organist und Komponist Charles-Marie Widor (1845 – 1937) Einsicht in das Archiv. Auch im Hinblick auf die geplante Restaurierung der Orgel des Straßburger Münsters im 20. Jahr- hundert wurde es herangezogen. 1994 erschien eine vollständige Transkription aller fünf Bände einschließlich der fliegenden Blätter, heraus- gegeben von Marc Schaefer. In den Schriften des «Archivs» lernt man einer- seits detailliert die Arbeit Silbermanns und die vielen Orgeln kennen, die er selbst besichtigt hat, sowie die Arbeitsweise anderer Orgel- bauer. Andererseits geben sie gewissermaßen en  passant viele, tiefe Einblicke in den Alltag der Zeit und insbesondere des Orgelbaus. Mit Sorg- falt und in teils humorvoller Weise schildert er u.a. ganz alltägliche Erlebnisse und Begegnungen. So beklagt er sich beispielsweise über die mangelnde Bereitschaft der Eigentümer, seine kostbaren Orgeln regelmäßig stimmen zu lassen: «Solange die Witterungen bald kalt und bald warm oder trucken und feuchte seyn», schreibt er imMai 1780 über die Kirche Jung-St. Peter in Straßburg, «solange es Mucken [Fliegen] giebet welche in denen Orgeln vieles zum Verstimmen helffen, und solange sich in denen Kirchen der Staub in die Orgeln setzen kan, solange wird man sich gefallen laßen müßen wan man anders gestimbte Orgeln haben will, Unkosten damit zu haben.». Sogar als Sitten- und Spiegelbild der Lebens- umstände des 18. Jahrhunderts lassen sich die Aufzeichnungen lesen. Denn er schildert in seinem Text, der sich in vielen Passagen lesen lässt wie ein Tagebuch, auch Details und Anekdoten im direkten Umfeld des Orgelbaus. So  etwa anlässlich der bis heute erhaltenen und als «Monument historique» klassifizierten Orgel zu Marmoutier (Orgel zu Maures Münster [sic]), die sein Vater Andreas 1710 fertig gestellt hatte: «Es war zur Herbstzeit als die Orgel bald fertig wurde, da kamen die Bauren welche Güld ins Closter brachten. Nach dem Abladen wurde ihnen ein Trunck Wein gegeben. Gemelder Gesell arbeitete nicht in der Kirch, sondern in einem Hauß welches im Hoff stund. Er sollte eben etwas machen worauf mein Vatter in der Kirch wartete. Anstatt aber zu arbeiten, so machte er sich unter die Bauren, und discurirte und truncke mit ihnen».  Provenienz Familie der Silbermann Erben; Privatsammlung Süddeutschland.  Literatur Marc Schaefer (Hrsg.), Das Silbermann-Archiv. Der handschriftliche Nachlaß des Orgelmachers Johann Andreas Silbermann (1717 – 1783) (= Prattica Musicale 4), Winterthur 1994.

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